Interview mit Erika Häring

Raum für das Mehr schaffen

Pfarrerin Erika Häring ist ab 1. März 2025 Pfarrerin in der Luthergemeinde. Davor war sie 12 Jahre in der Ev. Michaelsgemeinde in Reichelsheim tätig.

Worauf freuen Sie sich, wenn Sie an die Arbeit in der Luthergemeinde denken?

Ich freue mich nicht auf was Konkretes, sondern darauf, hier in einem anderen Kontext zu arbeiten als dem gewohnten. Besonders gespannt bin ich auf die Menschen in der Luthergemeinde. Den Kirchenvorstand durfte ich ja schon kennenlernen. Der war sehr offen und ich hatte gleich das Gefühl: Mit diesem Kirchenvorstand kann man gut Gemeinde gestalten und danach fragen, welche Träume die Gemeinde hat: Wo wollen wir gemeinsam hin?

Besonders freue ich mich aber schlicht darauf, jetzt auch endlich anfangen zu können. So ein Verfahren dauert dann ja doch lange von der Bewerbung hin bis zum Start. Es ist gut, dass es jetzt losgeht, denn in der Lutherkirche hatte ich schnell die Gewissheit: Hier bin ich am richtigen Ort.

Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit in einer Gemeinde besonders wichtig?

Die Bedürfnisse der Menschen sind mir wichtig, auch wenn ich weiß, dass ich die nicht immer erfüllen kann. Ich versuche es in meiner Arbeit, dass sich möglichst viele wohlfühlen können.

Darüber hinaus glaube ich nicht, dass Menschen, die man unter Druck setzt oder bedrängt, gerne dabei bleiben. Freiwilligkeit hat bei mir deshalb oberste Priorität. Wenn es gelingt, dass wir als Gemeinde und als Einzelpersonen stimmig mit uns sind, dann ist das die Grundlage, um dem Unverfügbaren Raum zu geben. Und genau das möchte ich hier in Griesheim tun: Raum für das Mehr schaffen. Selber herstellen können wir das Heilige zwar nicht, aber wir können den Heiligen Geist und Gott fröhlich zu uns einladen.

Was bedeutet das für Ihren Start in Griesheim?

Die diesjährige Jahreslosung „Prüft alles, und behaltet das Gute“ ist schön für mein erstes Jahr. Zu fragen: Was ist das Gute für Griesheim? Und dann mit der Gemeinde gemeinsam auf die Suche danach zu gehen. Ist das Gute nicht noch mehr als das, was wir benennen können? Sind die Gebäude der Kirche oder die Finanzen wirklich das, was wir unbedingt und zuallererst behalten wollen? Ich glaube: Das Gute entsteht. Das Gute findet sich erst. Da ist nichts in Stein gemeißelt.

Was ist Ihnen als Pfarrerin wichtig?

Mir ist wichtig, aufrecht durch die Welt gehen zu können. Ich will keinen Menschen beschämen. Ich will keinem Menschen mit meinen Worten Gewalt antun. Ich versuche, dass alle irgendwo einen Platz finden können, der gut für sie ist. Denn ich glaube, dass jeder Mensch eine Sehnsucht nach dem Höheren hat.

Die Frage nach dem Spaß und der Freude sollte auch nicht zu kurz kommen. Kirche darf gerne auch ein Ort sein, an dem man lachen und Quatsch machen kann.

Außerdem können sich die Griesheimer*innen darauf verlassen, dass sie bei mir keine Ansprachen und Gottesdienste „von der Stange“ kriegen. Ich schreibe alles wirklich jeweils auf die Leute hin.

Welche Erfahrungen aus Ihrem bisherigen Berufsleben bringen Sie hier in die Gemeinde mit ein?

Zwölf Jahre mit Menschen leben und mit ihnen unterwegs sein. Zwölf Jahre dabei sein zwischen den Polen von Lachen und Weinen, zwischen größter Freude und tiefster Trauer. Ich stehe mit den Leuten am Altar und ich stehe mit den Leuten am Grab. Da darf ich dabei sein und Gottes Wort einspielen.

Was sollten die Griesheimer*innen noch über Sie wissen?

Ich bin verheiratet, habe eine 2,5-jährige Tochter und einen kleinen Harlekin-Pudel. Ich trage immer unterschiedliche Socken und in meinen Predigten wird man viele Geschichten hören. Ich bin ein sehr spontaner Mensch.

Haben Sie auch Wünsche an die Gemeinde?

Von den Leuten wünsche ich mir, dass sie nicht hinterm Berg halten. Weder mit dem, was sie von mir brauchen, noch mit ihren Ideen. Und dass sie mir verzeihen, wenn ich selbst tausend Ideen habe, und das gerne probieren möchte. Wenn es dann nicht funktioniert, dann reden wir nie wieder drüber. Zugleich bitte ich alle, nicht enttäuscht sein, wenn ich nicht alles, was sie sich wünschen oder auch gewöhnt sind, umsetze. Ich habe auch nur 24 Stunden am Tag.

Was ist in der Gemeindearbeit in der Zukunft besonders wichtig aus Ihrer Sicht? Wo liegen Herausforderungen? Wo Chancen?

Wir Pfarrer*innen sind ja nicht mehr nur für die eigene Gemeinde, sondern im Team im Nachbarschaftsraum zuständig. Deshalb sollten wir auch dort präsent und den Menschen bekannt sein. Wir leben und glauben immer in Beziehungen – heute halt auf größerem Gebiet.

Wir müssen aber auch akzeptieren, dass immer weniger Menschen Kirchenmitglieder sein werden. Daran ändern weder wir Pfarrpersonen etwas noch besondere Angebote. Was nicht mehr gefragt wird, kommt weg. Ich bin trotzdem sehr zuversichtlich. Ich traue Gott und seiner Botschaft viel zu. Wenn etwas gebraucht wird, wird etwas Neues entstehen.

Und ich glaube auch, dass in der Kirche der Zukunft der Gottesdienst bleiben wird. Vielleicht nicht jeden Sonntag und in jeder Kirche, aber es wird immer Menschen geben, die sich versammeln. Und das ist auch gut so. Die Menschen sollen wissen: Auch wenn ich nicht dabei bin, dort wird Gottesdienst gefeiert. Da wird gerade gebetet – für eine gerechtere Welt und vielleicht auch für mich.

Das Gespräch führte Dr. Claudia Klemm